Kids & Kinks

Ich habe Urlaub. Also genug Zeit, um durchs Netz zu surfen und mir aktuelle Diskussionen anzusehen. Gerade zwischen der „Woke-Bubble“ und der Bubble, die zwar links ist, aber einige Aspekte der sogenannten „woken Kultur“ kritisch sieht, gibt es aktuell eine kleine, aber große CSD-Diskussion – eine Diskussion, die in den letzten Jahren immer wieder aufflammt:

„Haben Kinks auf dem CSD etwas verloren?“

Ich denke, meine Meinung dazu ist bekannt: Eindeutig ja. Aber ich möchte, basierend auf der aktuellen Diskussion, ein großes ABER hinzufügen. Während die „Woke-Bubble“ sagt, dass Kinks ohne Wenn und Aber zum CSD gehören, lautet der Hauptkritikpunkt der anderen Seite: „ABER DIE KINDER?!?!?!?!?!“

Ich kann beide Seiten nachvollziehen. Das Problem, das ich in der aktuellen Situation sehe, ist, dass Petplayer oft schlecht wegkommen, alle über einen Kamm geschert werden und teilweise unwahre Behauptungen aufgestellt werden. Ab und zu werden auch Fetischisten generell in einen Topf geworfen – typisch Mensch, so nervig.

Die „Anti-Seite“ betont immer den sexuellen Aspekt des Petplays und dass Kinder davon ferngehalten werden sollten. Und ja, das Argument verstehe ich – bzw. ich würde es verstehen, wenn 99 % der Petplayer sexual Player wären. Aber meiner Erfahrung nach halten sich sexual und non-sexual Player ziemlich die Waage.
Abgesehen von einem Vorfall auf der Kölner Domplatte sehe ich kaum sexuelle Anspielungen auf den CSDs, und ich denke, das geht den meisten so. Unabhängig davon, ob man Kinkster oder Fetischist ist, sind sich die meisten einig, dass FSK18-Aktionen nichts auf dem CSD verloren haben. Natürlich gibt es immer Leute, die sich nicht daran halten, aber die Community hat schon oft bemerkt, was passiert, wenn jemand erwischt wird.

Auch die Nacktheit unter Petplayern wird oft aus der Anti-Bubble kritisiert. Dabei gehörte Nacktheit schon immer zum CSD, wie auch damals zur Loveparade, wo es keinen störte. Ich habe den Eindruck, dass die Welt immer prüder wird. Es gibt CSDs, bei denen verlangt wird, dass Männer ihre Nippel abkleben. #FreeTheNipples – ich finde das langsam echt anstrengend. Nichts ist natürlicher als der nackte Körper, aber diese Natürlichkeit wird immer häufiger als etwas betrachtet, das um jeden Preis versteckt werden muss.

Die „Woke-Bubble“ hingegen bagatellisiert genau diese Themen, sei es Sexualität auf dem CSD oder Nacktheit in Verbindung mit Kindern. Statt dass beide Seiten versuchen, einen Konsens zu finden – gerade im Hinblick auf Kinder und Kinks – ist es eher ein „Wir haben Recht, ihr habt Unrecht.“

Was wäre ein Konsens?

Ein Beispiel wäre, dass man sich darauf einigt, dass sexuelle Aktivitäten im öffentlichen Raum, wie z. B. auf dem CSD, nicht in Ordnung sind, insbesondere weil dort auch Kinder sind. Speziell auf Petplayer bezogen, wäre ein Konsens, dass man sich Kindern nicht nähert oder sie anbellt, ohne dass die Begleitpersonen (in der Regel die Eltern) zustimmen.
Ich kann nachvollziehen, dass Menschen, die keine Ahnung von der verspielten Seite des Petplays haben, das seltsam finden. Wir haben es oft erlebt, dass Passanten Fotos von uns machen wollen, uns streicheln, und Eltern ihren Kindern erlauben, mit uns zu interagieren. Die Kiddies hatten dabei riesigen Spaß.

Ich halte persönlich auch nicht viel von der Woke-Bubble, da sie schnell mit Begriffen wie „Rassist“ oder „Transfeindlich“ um sich wirft, ohne dass es faktisch passt. Dazu schreibe ich vielleicht ein andermal mehr. Vor allem aber stört mich ihre Diskussionskultur. Egal, welche Fakten man bringt, sie haben immer Recht.
Im Rahmen meiner Arbeit im Diversity Management habe ich gelernt, dass es schwierig ist, fest verankerte Einstellungen zu ändern. Aber die Frage, besonders im Zwist zwischen diesen beiden Gruppen, ist: Gibt es überhaupt die Möglichkeit, einen Konsens zu finden?

Ich finde es gut, wenn Kinder, im Beisein und mit Zustimmung ihrer Eltern, frühzeitig mit Kink-Themen in Berührung kommen, allerdings ausschließlich im nonsexuellen Sinne. Eltern, die selbst im Fetisch- oder Kink-Bereich aktiv sind, werden sich früher oder später sowieso damit auseinandersetzen müssen.
Auch „normale“ Eltern sollten sich vielleicht etwas öffnen, um später nicht in Erklärungsnot zu geraten, wenn das Kind irgendwo etwas aufschnappt.
Und was die abwertende Darstellung von Petplayern angeht, tue ich mich in der Anti-Bubble ebenfalls schwer. Nicht jeder, der eine Tiermaske trägt, ist sexuell in diesem Bereich aktiv. Sehr oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Ich kenne viele sexual Player (mich eingeschlossen), die niemals einen sexualisierten Kontext auf den CSD einbringen würden – vor allem nicht in Gegenwart von Kindern.
Wir kämpfen primär für unsere Rechte und die Rechte derer, die nicht dafür kämpfen können. Nur weil Kinkster und Fetischisten auf einem CSD anwesend sind, bedeutet das nicht, dass es einen sexuellen Kontext gibt. Mein Zwergbärchen hatte mal eine schöne Erfahrung in seinem Nintendo-Latex-Anzug. Ein Kind meinte, er sehe aus wie ein Superheld.

Das Denken der Kids

Und jetzt mal etwas, das alle in dieser Diskussion schockieren könnte – und das sich nicht nur auf CSDs bezieht, sondern auch auf Themen wie Rassismus, Ageism oder Klassismus: Solche Vorurteile werden erst anerzogen. Kinder haben einen unschuldigen Blick auf Dinge wie Hautfarbe, Herkunft, Sexualität oder Fetischismus.
Kinder sehen auf dem CSD Menschen in Hundemasken, die ein Rollenspiel spielen. Sie sehen Menschen, die so tun, als wären sie Hunde – das, was Kinder auch ohne Kostüm mit ihren Freunden machen. Sie sehen bunte Kostüme und Freude, nicht die Sexualität, die diese Kostüme vielleicht für Erwachsene symbolisieren.
Kinder sehen Fetischisten als Superhelden, weil die Kleidung oft so aussieht. Kinder sehen Uniformfetischisten nicht als dominante Personen, sondern vielleicht als Soldaten, die dafür kämpfen, dass sie in Frieden aufwachsen können.

Alles, was an der Fetisch- und Kinky-Community kritisiert wird, und generell in der queeren Community, stammt von Erwachsenen, oft mit wenig Hintergrundwissen. Kinder denken nicht sexualisiert. Sie denken nicht in Schubladen.

Man sollte den Communitys und vor allem den Kindern mehr zutrauen, als nur eine potenzielle Gefahr darin zu sehen. In manchen Ländern kaufen Eltern ihren Kindern Fetisch-Masken, damit sie Haustier spielen können.

Die Gedanken der Erwachsenen führen oft zu falschen Sichtweisen, die sich bei den Kindern einbrennen. Daraus entstehen Berührungsängste mit vielem. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es ist sehr schwer, diese Ängste als Erwachsener wieder zu überwinden.

Gerry

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