Wenn aus Wissensdrang Verzweiflung wird

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Erinnert ihr euch noch an meine „ANGST“ Projekte (1 2)? Im Zweiten hab ich Vermutungen geäußert und auch gesagt, dass ich mich Anfang dieses Jahres da ran machen wollte. Ich hatte Termine mit meiner Hausärztin … verschoben … verschoben … abgesagt.
Einfach weil ich Angst hatte, was rauskommen könnte. Doch nun habe ich durch einen Freund ein kleinen Wachrüttler bekommen, dass ich nicht zu lange warten sollte. Also das hat er so nicht gesagt, aber das ist die Botschaft, die ich dabei rausgezogen habe.

Wie einige von euch wissen, ist mein Kopf eine permanente Denkmaschine. So permanent, dass ich, wie vor ein paar Tagen, bis morgens nicht schlafe, sondern immer im Denkkarrussel bin, mit allem, was noch ansteht und mich beschäftigt.
Es ist, als würden viele Hörbücher gleichzeitig laufen und je höher mein Kopf die Priorität setzt, umso lauter ist das entsprechende Hörbuch.

Das Thema „Was stimmt nicht mit mir“-Diagnostik war irgendwo im Mittelraum angesiedelt. Bis zu dem Rüttler des Freundes. Der hat die Priorität weit nach oben geschossen. Unbeabsichtigt denke ich. Also hab ich den Weckruf genommen, ihm ein Schleifchen drum gewickelt und mich an die Arbeit gemacht.

Die erste Suche nach diagnostizierenden Therapeuten

… Sie war ernüchternd. 90 % der Therapeuten und Psychiater in meiner Gegend haben in den gängigen Arztsuchen diesen herrlichen Satz drin stehen:

„Nur Privatpatienten und Selbstzahler“

Klar. Ich scheiß das Geld. Ich kann mir das voll und ganz leisten. Könnte ich. Wenn ich nicht andere Verpflichtungen hätte.
„Aber Gerry du kannst Kostenerstattung beantragen!!111“ Ja könnte ich. Aber der Prozess ist nicht so einfach, wie viele sich vorstellen und ich muss in vielen Fällen trotzdem in Vorleistung gehen. Und nein. Das kann ich nicht. Und die anderen 10 % sind so massiv überbeschäftigt, dass sie keine neuen Patienten annehmen können, ohne Beschneidungen an den Sprechstunden oder ihren Leben durchzuführen.

Und warum? Weil es einfach zu wenige kassenärztlich zugelassene Psychotherapeuten gibt. Warum zur Hölle passen die Kassenärztlichen Vereinigung die Bedarfsplanung nicht an? Der Bedarf ist da zur Hölle! Mehr als genug.
Und wisst ihr was der Witz an der ganzen Scheiße ist? DIE BEDARFSPLANUNG WIRD NICHT ZUKUNFTSWEISEND GEMACHT! Es wird nur geschaut was der aktuelle Bedarf ist (theoretisch) und dann leicht angepasst.
Während ich übrigens den Blog schreibe, habe ich eine E-Mail bekommen, aus der ich gerne noch, was zitieren würde:

leider mussten auch wir aufgrund der hohen Nachfrage die Warteliste für die Autismusdiagnostik schließen, da wir im Moment eine Wartezeit von über 3 Jahren haben und über 400 wartende! Ich verstehe Ihre Sorgen, aber leider ist das Angebot eine Autismusdiagnostik in ganz Deutschland zu bekommen sehr gering.

… ich habe geschluckt. Meinen Mann gebeten für mind. 30 Minuten nicht den Raum zu betreten und angefangen zu heulen. Wie ein kleines Kind. Ja klar. Ich suche erst seit wenigen Tagen aktiv. Andere suchen Wochen .. Monate… Manchmal Jahre. Und diese Menschen haben meinen höchsten Respekt. Aber ….
Ich verzweifle jetzt schon. Die Frage, was is macht mich so wahnsinnig. Ich schleppe die Frage „Was läuft bei mir falsch“ ja nicht erst seit den Projekten. Ich stelle sie mir mein ganzes fucking Leben. Und jetzt habe ich den Mut, für den ich so viele Jahre gebraucht habe, dieser Frage nach zu gehen und wenn wir ehrlich sind, kaum eine Chance Antworten in einem Zeitrahmen zu erhalten, der in irgendeiner Form vertretbar ist.

Ich hab mich erstmal beruhigt … denke ich

Eigentlich habe ich es nicht mit heulen. Ich verkneife es mir immer. Egal in welcher Situation. Aber jetzt … ich konnte nicht mehr. Aber ernsthaft: Wieso ist die Abdeckung so gering, dass es zu Wartezeiten von 4 Jahren kommen kann?
Viele Menschen quälen sich mit den Fragen, mit denen ich mich quäle. Und …

!ab hier die Content Note bitte sehr ernst nehmen!

Viele von den Menschen schaffen es nicht zu ihrer ersten Sitzung. Sie bringen sich um! Springen vor Züge. Von Dächern. Oder schneiden sich die Pulsadern auf. Warum? Diese Gedanken, die in den Köpfen sind, werden lauter. Je länger es dauert. Und viele sind sich nicht mal bewusst, dass ihre Sachen diagnostizierbar oder sogar behandelbar sind.
Sie geben auf. Und landen durch dieses Aufgeben vielleicht in eine Diagnostik und Behandlung. Am Ende ihrer Kräfte. Aber bis dahin …

Sitzen sie mit sich selbst in ihren Zimmern und sind traurig. Werden verrückt bei der Frage „Wieso bin ich wie ich bin?“. Nicht jeder schafft es, trotzdem herauszutreten. Widerstrebend Kontakte zu knüpfen und haben auch das Glück, dass, wie bei mir, Perlen unter diesen Kontakten zu finden sind.

Und sorry … ich brech immer wieder aus. Ich weiß, ich könnte meinen Mann rufen. Mein Bruder im Geiste. Meinen Zweitmann. Mein Rudel. Aber … ich hab so schon gerade das Gefühl, durch meine Suche, allen eine Last zu sein. Ich texte so viele damit zu und die Angst steigt mit jeder Nachricht, dass sie mir den Rücken kehren. Obwohl ich weiß, dass es bei den meisten nicht passieren wird. Es beschäftigt mich.

Was soll ich jetzt machen liebe Kassenärztliche Vereinigungen? Vier Jahre warten? Und kommt mir nicht mit „Geh in eine Gruppentherapie“. Das wird im Netz oft vorgeschlagen. Ich kann nicht mal ohne Schweißausbrüche in meiner Firma einen Vortrag halten. Das kommt für mich nicht in Frage, weil es bei mir nicht funktioniert!
Ich bin traurig und wütend zugleich. Ich möchte gerade aus meiner Haut fahren und weit, weit weggehen. Ich wüsste nicht mal, wie ich mein Inneres gerade beschreiben könnte.

Das Problem

Das Problem besteht nicht erst seit gestern. Es fehlt die Aufklärung. Es fehlen die Diagnostik-Stellen und vor allem die Kassenpsychotherapeuten. Es fehlt überall. UND DAS KOTZT MICH AN!

Und hier noch für Eltern:

Nachtrag 06.05.2022: Die folgenden Zeilen betrifft natürlich nicht alle Eltern. Es gibt auch Eltern, die mit Problemen wie diesen allein gelassen werden und resignieren. Oder auch Eltern, denen es nicht wirklich auffällt, weil es sich z. B. nur vor Freunden oder wenn es mit sich selbst alleine ist, andersartig verhält. Und auch unwissenheit, was ich ja auch bemängelt habe, dass zu wenig Aufklärung stattfindet.

Meine Familie (Ausnahme einer Person) hat nie wirklich auf mich und mein Verhalten geachtet. Mir war als Kind Nähe, bis auf bestimmte Ausnahmen, unangenehm. Ich mochte Veränderungen nicht und plötzliche, und vor allem große Veränderungen wie ein spontaner Umzug, über den ich bis zum Tag des selbigen in Unklaren gelassen wurde, können so unheimlich großen Schaden anrichten und wenn ihr nicht drauf achtet und nicht den Weg der Vernunft geht, kommt sowas bei raus.
Euer Kind wird sich sein Leben lang fragen, was falsch mit ihm/ihr ist. Es wird eure missbilligenden Blicke und demotivierenden Worte, weil es halt nicht so ist wie andere Kinder, für IMMER mit sich herumschleppen. Und wenn es irgendwann den Mut aufbringt vielleicht doch nachzuhaken, steht es vor einer Mauer, weil es nicht voran kommt.

Und im schlimmsten fall, findet ihr euer Kind auf den Bahngleisen wo völlig fremde Leute das Blut und die Überreste von den Gleisen abkrazen, während ihr euch angeblich keiner Schuld bewusst seid, warum es das getan haben könnte.
Und ihr werdet schuld sein. Und irgendwann werdet ihr dafür bezahlen! Und ja ich hab die Schnauze voll davon nett zu sein. Ich bin rasend vor Wut.

Das Stoppschild

„Aber Gerry…“ Scheiß drauf! Ja ich weiß ich habe ein gutes Leben. Ich habe einen Job. Unheimlich tolle KollegInnen und Vorgesetzte. Zwei wundervolle Männer. Einen Bruder im Geiste der mehr Wert ist als jeder blutsverwandte Bruder. Tolle Freunde. Aber keiner von Ihnen hat die Macht und das Wissen mir die Last des Unwissens aus dem Kopf zu holen.
Keiner von Ihnen, und einige wünschten es sich so sehr, kann das Chaos in meinem Kopf beruhigen. Und ich Liebe sie alle auf meine Weise. In meinen Schubladen. Aber ich hasse, was die Unachtsamkeit und die Gleichgültigkeit Anderer mir gebracht haben. Wie Leute meine, mir bis dato unbekannten, Probleme ausgenutzt haben zu ihren Vorteilen.

Und ja … Ich hasse es aktuell, ich zu sein. Jetzt ist es raus. Ich sehe nix Wunderbares an mir. Nix Liebenswertes. Nix zu Förderndes. Und ich will wissen, warum ich das nicht sehe! Ich will wissen, warum ich in fast jeden Lebensbereich nicht vorankomme. Warum ich mich oft alleingelassen fühle, wenn es um weiterentwicklung geht? Und warum mir so viele Sachen so schwer fallen!
Aber um euch sofort zu beruhigen: Ich habe nicht vor abzutreten. Es besteht also keine Suizidgefahr. Mein Zino würde mich zurückholen, um es nochmal selbst zu übernehmen. Und andere vermutlich auch. Aber dies ist mein Blog.

Meine Möglichkeit, mir Luft zu machen. Mein Ort, an dem ich auch sowas schreiben kann. In diesem Loch, in dem ich gerade stecke, war ich sehr lange nicht mehr und ich weiß, dass ich da wieder raus komme irgendwie.
Aber, auch wenn das nie geschehen wird, vielleicht stolpert ja irgendeiner von den Verbänden hier drüber und rafft, wie wichtig viele (Diagnostik-)Therapieplätze wichtig wären. Wie verzweifelt wir Menschen sind, die darüber nicht zu entscheiden haben.

Jeder Kampf … Jeder Schritt nach vorne kostet Kraft und Überwindung. Und ich werde die Kraft aufbringen. Für jeden Schritt. Jeden Weg. Ob mit oder ohne Diagnose. Egal wie schwer er ist. Ich werde weitergehen. Ich habe viele Seile, an denen ich mich festhalten kann. Und ich werde sie nutzen.

Ich sollte hier erstmal ein Stoppschild für mich selbst aufstellen. Es bringt nichts, weiter im Kreis zu drehen.

Habt einen schönen Mai ihr Welpen.

Gerry

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4 Kommentare zu „Wenn aus Wissensdrang Verzweiflung wird“

  1. hey dogger4Hi

    Der Text ist so aussagekräftig! Ich selbst stecke ebenfalls in dem Thema drin, was Therapieplätze ect. angeht. Es ist so erschrecken was die Wartezeiten angeht und man kann absulut nichts dagegen tun. Wenn man Glück hat bekommt man eine alternative, was aber auch nicht immer für jeden was ist. Gruppentherapien, andere Anlaufstellen wo der Bezugsbegleiter ständig wechselt, Tageskliniken oder Ärzte die einfach kein Plan haben.

    Ich war mal bei einer Ärztin und wollte mich behandeln lassen, habe Glücksmacher bekommen und wenige Wochen später wurde ich als ‚geheilt‘ diagnostiziert weil ich einfach nem guten Tag hatte. Punkt!

    Aber leider kann man kaum was machen…. außer…… WARTEN!

    1. Huch ja die liebe suche nach einem Therapeuten. Es ist zum kotzen. Da ich aktuell auch auf der Suche bin habe ich den Tipp bekommen mir über dieses ärztesuchding einen Termin zu holen für ein erstgespräch. Das wo man innerhalb von drei Wochen einen bekommt von der Krankenkasse. Dort muss man dann darlegen das es dringend ist bzw der Therapeut muß die Dringlichkeit feststellen. Das Ding mit der Diagnostik hab ich erstmal hinten rangehängt. Adhs bei Frauen zu diagnostizieren ist heute immer noch schwer auch in Kombination mit Autismus. Kotz. Wenn es dann die Dringlichkeit gibt geht’s weiter. Leider war meine aufmerksamkeitsspanne da schon ausgereizt und ich erinnere mich an den Rest gerade nicht. Ach ja und trotzdem weiter die anderen anschreiben und denen deutlich darlegen warum du einen Therapeuten brauchst.

  2. Ich weiss nicht ob es hilfreich ist, kannst du dann ja entscheiden.
    Meine eigene Geschichte lässt hier Tara Brach und ihre „Trance of Unworthyness“ aufblitzen. Hab ich laaaange dran genagt – letztlich auch mit Erfolg. Kann ich bei Interesse mehr drüber erzählen.

  3. Hey Gerry ich habe deinen Blogeintrag gelesen und mir lange Gedanken dazu gemacht ob ich dir was schreibe oder nicht. Weil ich meine wer kennt es nicht, erneut die selben Floskeln zu schreiben die man wahrscheinlich schon x-mal gehört hat kann auch nervig sein. Dennoch möchte ich dir sagen dass mich die Offenheit berührt hat und ich finde du bist extrem mutig und ein Vorbild. Ich wünsche dir das du möglichst schnell die Hilfe bekommst die du brauchst und schnell wieder das leben lebenswert findest. Du bist nicht allein!

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